Ratgeber – Scheinselbständigkeit

Die Scheinselbstständigkeit bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch den Umstand, dass die vertragliche Beziehung zwischen einem Auftraggeber und einem vermeintlich Selbstständigen im Nachhinein als abhängiges Beschäftigungsverhältnis beurteilt wird. In der Praxis ist die Frage, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, oft schwer zu beurteilen, da es an exakten Kriterien fehlt. Wichtig sind aber vor allem die Weisungsabhängigkeit, die Eingliederung in eine Betriebsorganisation und die Anzahl der Auftraggeber eines Selbstständigen. Auswirkungen hat der Status des Scheinselbstständigen besonders auf das Arbeitsrecht, das Sozialversicherungsrecht und das Steuerrecht.

Der nachfolgende Ratgeber soll ihnen die grundlegenden Aspekte und Begriffe dieses durchaus komplexen Themenfeldes etwas näher bringen. Denn insoweit existieren eine Vielzahl von Missverständnissen und falschen Vorstellungen.

Was ist Scheinselbstständigkeit?

Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn ein Berufstätiger in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht, diese aber fälschlicherweise hinter einer Selbstständigkeit verborgen ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Schein der Selbstständigkeit bewusst gewählt wurde oder die Beteiligten tatsächlich von einer Selbstständigkeit ausgehen. Vereinfacht gesagt: Zwar tritt eine Person nach außen als Selbstständiger auf, die Erfüllung der Aufgaben erfolgt aber tatsächlich wie durch einen abhängig beschäftigten Arbeitnehmer.

Wichtig: Die Scheinselbstständigkeit bezeichnet damit nicht eine bestimmte Beschäftigungsform oder das Merkmal einer Person, vielmehr geht es um die tatsächliche Beziehung zu einem konkreten Auftraggeber und die dahinterstehenden Bedingungen der Beschäftigung. Aus diesem Grund kann eine Scheinselbstständigkeit auch nicht vor der Beauftragung eines Selbstständigen ausgeschlossen werden. Stattdessen ist die konkrete Ausgestaltung des Auftragsverhältnisses entscheidend.

Problematisch ist der Begriff der Scheinselbstständigkeit vor allem deshalb, da es an klaren Abgrenzungskriterien fehlt. So herrscht auf beiden Seiten eine große Unsicherheit, die dadurch verstärkt wird, dass selbst Juristen oder öffentliche Beratungsstellen hierzu oftmals keine klare Auskunft geben können oder sogar falsche Informationen streuen. Zudem entscheiden die Gerichte teils sehr unterschiedlich und entwickeln ihre Rechtsprechung ständig fort.

In der Praxis ist die Frage der Scheinselbstständigkeit vor allem für Einzelunternehmen und freie Mitarbeiter, die nur über wenige Auftraggeber verfügen, von Bedeutung.

Beispiel: Anfang des Jahres 2016 sorgte die Frage der Scheinselbstständigkeit bei vielen großen Medienhäusern für Unruhe – Grund dafür waren intensive Ermittlungen des Zolls in der Medienbranche. Denn viele Journalisten, die offiziell als freie Mitarbeiter für die entsprechenden Zeitungen tätig waren, erfüllten den Tatbestand der Scheinselbstständigkeit. Denn im Vergleich zu ihren festangestellten Kollegen übten sie faktisch die gleichen Tätigkeiten aus. So besaßen sie oftmals einen eigenen Arbeitsplatz in der Redaktion, waren aufgrund fester Arbeitszeiten tätig und den Weisungen (gerade auch inhaltlich) des Redaktionsleiters unterlegen. Deshalb wurden viele Freie Mitarbeiter von den Redaktionshäusern festangestellt oder das Auftragsverhältnis nicht weiter fortgesetzt.

Missverstädnisse

In der öffentlichen Meinung existieren, wie zuvor bereits erwähnt, etliche Fehlinformationen, die durch die bestehende Rechtsunsicherheit noch weiter verstärkt werden – auch im politischen Diskurs wird in Bezug auf die tatsächliche Rechtslage oftmals von falschen Voraussetzungen ausgegangen. So werden folgende Kriterien in diesem Zusammenhang häufig angeführt:

  • Über längere Zeit lediglich einen Auftraggeber
  • Keine eigenen Angestellten
  • Erbringen der Arbeitsleistung überwiegend in Lokalitäten des Auftraggebers

Tatsächlich spielen diese Kriterien bei der juristischen Beurteilung jedoch kaum eine Rolle. Eine bessere Einschätzungsmöglichkeit bieten dagegen folgende Kriterien:

  • Der Auftraggeber besitzt eine unmittelbare Weisungsbefugnis
  • Berichterstattungs-Pflichten gegenüber dem Auftraggeber
  • Die ständige Einbeziehung in Prozesse beziehungsweise die Infrastruktur des Auftraggebers
  • Feste Bezüge
  • Anspruch auf Urlaub

Wichtig: Auch diese Kriterien allein genügen nicht, um eine Scheinselbstständigkeit abschließend festzustellen oder auszuschließen.

Rechtliche Grundlagen

Die Unsicherheit in Bezug auf die Scheinselbstständigkeit fußt vor allem darauf, dass klare gesetzliche Grundlagen fehlen. So kann einzig § 7 Abs. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) herangezogen werden. Dort heißt es: „Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“ Entscheidend ist dabei vor allem das Wort Anhaltspunkte. Letztendlich wird die Frage der Scheinselbstständigkeit also stets am jeweilige Einzelfall unter einer vollständigen Berücksichtigung aller fallrelevanten Umstände sowie der dazugehörigen Rechtsprechung beurteilt. Dabei können die zuvor genannten Kriterien durchaus eine Rolle spielen und zur Beurteilung herangezogen werden.

Folgen der Scheinselbstständigkeit

Die Folgen der Scheinselbständigkeit richten sich nach dem jeweilig betroffenen Rechtsgebiet.

In arbeitsrechtlicher Hinsicht sind Scheinselbstständige – also vermeintlich freie Mitarbeiter – als Arbeitnehmer zu qualifizieren mit allen sich dazugehörigen aus dem Arbeitsrecht ergebenden Rechten und Pflichten. In praktischer Hinsicht hat dies vor allem Auswirkung auf Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall, Urlaubsansprüche und die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG).

Wichtig: Im Regelfall kann der Arbeitgeber nach der Feststellung der Arbeitnehmer-Eigenschaft zu viel gezahlte Vergütung – oftmals erhalten Selbstständige im Vergleich zu ihren festangestellten Kollegen ein höheres Gehalt – nicht zurück verlangen.

Im sozialversicherungsrechtlichen Bereich ist vor allem die Sozialversicherungspflicht von entscheidender Relevanz. Denn grundsätzlich besteht für Selbstständige keine Pflicht Pflege-, Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherungen abzuführen. Ein Scheinselbstständiger gilt in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht jedoch als Beschäftigter – mit der Folge, dass eine Entrichtungspflicht für diese Sozialversicherungen besteht.

Wichtig: Hier müssen zwei Dinge grundlegend unterschieden werden. Für die Zukunft ergeben sich in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht keine Probleme. Diese Pflicht besteht nunmehr schlichtweg für die Zukunft. Gravierende finanzielle Folgen ergeben sich vielmehr mit Blick auf die Vergangenheit – vor allem für den Arbeitgeber. Denn dieser muss angefallene und nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen – im Extremfall rückwirkend bis zu 30 Jahre. So kommen schnell fünfstellige Beträge zusammen. Dem Arbeitnehmer bleiben diese gravierenden finanziellen Forderungen in der Regel erspart. Zwar hat der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf den Arbeitnehmeranteil. Dies spielt allerdings zum einen nur eine Rolle, wenn das Arbeitsverhältnis tatsächlich fortgesetzt wird. Zum anderen darf der Abzug nur bei den nächsten drei Gehaltszahlungen nachgeholt werden. Etwas Anderes gilt nur, wenn der Arbeitgeber den unterbliebenen Abzug nicht zu verschulden hat – fast immer hat der Arbeitgeber diesen aber zu verschulden.

In steuerrechtlicher Hinsicht macht überwiegend die fälschlicherweise nicht einbehaltene Lohnsteuer Probleme. Von besonderer Wichtigkeit ist hier, dass neben dem Arbeitgeber auch der Arbeitnehmer für die Steuerschuld haftet. Das Finanzamt entscheidet hier nach pflichtgemäßem Ermessen. Zudem kann in steuerstrafrechtlicher Hinsicht eine Steuerverkürzung oder Steuerhinterziehung in Betracht kommen.

Feststellung der Scheinselbstständigkeit

Ob tatsächlich eine Scheinselbstständigkeit vorliegt oder nicht, wird oft erst im einem Konfliktfall relevant. So ist es keine Seltenheit, dass vermeintlich freie Mitarbeiter über viele Jahre als Scheinselbstständige tätig sind.

Um die zuvor aufgeführten Folgen zu vermeiden, sollte man sich jedoch frühzeitig um eine rechtsverbindliche Klärung bemühen.

Diese kann über die Krankenkasse (in Bezug auf das Sozialversicherungsrecht), durch eine Feststellungsklage über das Bestehen – oder Nichtbestehen – eines Arbeitsverhältnisses (im Arbeitsrecht) oder eine Anrufungsauskunft beim jeweiligen Finanzamt (im Steuerrecht) erreicht werden.

Bei Streitfragen bietet sich zudem immer die Einschaltung eines qualifizierten Rechtsbeistandes an, der wichtige Fragen bereits im Vorfeld beantworten kann und dementsprechende Handlungsmöglichkeiten aufzeigt. So können Sie unliebsame Überraschungen bereits im Vorfeld vermeiden und Ihrer Tätigkeit ohne Sorgen und mit der nötigen Rechtssicherheit nachgehen.